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Das Mahnverfahren als „kurzer Prozess“?

Rechtsanwälte erleben dies sehr häufig. Kurz vor Jahresende erhält der Anwalt zahlreiche Anrufe von Gläubigern, welche Ihre Ansprüche (§ 194 I BGB) vor der Verjährung (vgl. § 195 ff. BGB) bewahren wollen. Dies kann u.a. durch Klage oder Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides geschehen (vgl. § 204 I Nr. 1, 3 BGB).

Wichtig ist allerdings, dass die Klage oder der Mahnbescheid dem Schuldner auch zugestellt wird. Dies kann im Einzelfall kompliziert werden, wenn dem Gläubiger erst im Dezember die Erleuchtung kommt und der Schock einer drohenden Verjährung die Scheu vor der Hilfe durch einen Anwalt überwiegt.

Weil sich dann viele fragen, ob eine Zustellung sodann verspätet ist, wenn das Gericht nicht rechtzeitig und erst im darauffolgenden Jahr die Zustellung veranlasst, sei auf § 167 ZPO verwiesen. Diese Vorschrift macht es möglich (interessante Entscheidung hierzu, vgl. BGH v. 20.05.2015, IV ZR 127/14).

Zurück zum Mahnverfahren.

Schön zu wissen: In Berlin Wedding, Schönstedtstr. 1 in 13357 Berlin sitzt das Europäische Mahngericht. Über das Europäische Mahngericht können Mahnverfahren in ganz Europa betrieben werden.

Andernfalls richtet sich die Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Antragstellers, vgl. § 689 II 1 BGB. Wichtig ist, dass der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides auch inhaltlich richtig und die Forderung konkret benannt wird (vgl. § 690 BGB).

  1. Die Rechtsbehelfe: Widerspruch und Einspruch

Im Rahmen des sog. „Mahnverfahrens“ kann der Schuldner gegen den Mahnbescheid Widerspruch einlegen, was ein gerichtliches Verfahren über die vom Gläubiger behaupteten Ansprüche zur Folge hat, da in einem Großteil der Fälle die Gläubiger im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides bereits das zuständige Gericht benannt haben (vgl. § 696 I 1 ZPO). Ähnlich verhält es sich, wenn bereits ein Vollstreckungsbescheid erlassen wurde. Auch hier kann der Schuldner die Ansprüche des Gläubigers noch in das streitige Verfahren überführen, nämlich mittels Einspruch (vgl. § 700 III 1 ZPO, §§ 331 ff. ZPO).

Der Anspruch wird sodann im sog. „Streitverfahren“ verhandelt.

Der vg. Vollstreckungsbescheid ist nämlich das Ergebnis, wenn der Schuldner nicht binnen von zwei Wochen nach Zustellung des Mahnbescheides Widerspruch eingelegt hat. Denn in dem Fall erlässt das Gericht auf Grundlage des Mahnbescheides einen vollstreckbaren Titel, den Vollstreckungsbescheid (vgl. §§ 63 I, 694 I, 699 I 1, 700 I i.V.m 708 Nr. 2 ZPO). Der Vollstreckungsbescheid steht nämlich einem Urteil gleich; einem sog. unechten Versäumnisurteil (vgl. § 700 I ZPO). Aus dem Vollstreckungsbescheid heraus kann sodann die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betrieben werden.

2. Weiteres Vorgehen

a. Einstellung der Zwangsvollstreckung

Der Schuldner hat die Möglichkeit die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid einstweilen einstellen zu lassen. Das ist dann der Fall, wenn das geltend gemachte Rechtsmittel nicht als völlig aussichtslos erscheint (vgl. §§ 719, 707, 700, 769 ZPO). Wunderschön kann man das in einer von der KHB erst kürzlich erreichten Entscheidung des Amtsgerichts Berlin – Mitte vom 29.04.2020 nachlesen (Entsch. v. 29.04.2020, Az. 122 C 77/20).

b. Mahnverfahren vs. Streitverfahren

Nicht immer mündet ein Widerspruch in ein streitiges Verfahren. Das ist dann der Fall, wenn der Widerspruch zurückgenommen wird. Denn sollte der Schuldner doch keine streitige Verhandlung wünschen, gibt es für das Mahnverfahren (im Falle des rechtzeitigen Widerspruchs) die Besonderheit, dass der Schuldner jederzeit eine Rücknahme des Widerspruchs erklären kann. Denn manchmal überlegt sich der Schuldner doch das Risiko einer gegenläufigen Entscheidung im Streitverfahren nicht einzugehen und nimmt seinen Widerspruch zurück.

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass im Falle eines bestehenden Versäumnisurteils, des „Vollstreckungsbescheids“, keine Rücknahme eines Widerspruchs möglich ist. Es wird folglich eine streitige Verhandlung geben. Denn ein verspäteter Widerspruch im Mahnverfahren ist nach § 694 II 1 ZPO als Einspruch zu werten und kein sog. „Widerspruch“ mehr. Das bedeutet in kurzen Worten aber auch, dass ein verspäteter Widerspruch das streitige Verfahren auslöst.

An der vg. Thematik wird deutlich, dass das „Mahnverfahren“ und das „Streitverfahren“ streng zu unterscheiden sind. Denn sobald das Versäumnisurteil „Vollstreckungsbescheid“ erlassen wurde, führen sowohl ein verspäteter Widerspruch als auch ein Einspruch zu einer streitigen Verhandlung.

Vorgenanntes bedeutet aber auch, dass der Einspruch im Grunde bereits ein Rechtsbehelf im Streitverfahren ist, denn er unterliegt nicht dem Formularzwang; erst Recht nicht, wenn der Mahnbescheid im maschinellen Verfahren ergangen ist (vgl. Zöller, Vollkommer, § 697 Rn. 12).

Diese vorgenannte Besonderheit erlangt eine entscheidende Bedeutung im Falle eines sog. „inplausiblen Widerspruchs“.

c. Fallgruppe des sog. „inplausiblen verspäteten Widerspruchs“

Manchmal kommt es vor, dass der Schuldner aus Unwissenheit, Unerfahrenheit oder Unachtsamkeit als juristischer Laie verspätet einen Widerspruch einlegt, welcher sich laut seiner schriftlichen Erklärung nur gegen die Verfahrenskosten oder Zinsen richtet, was grundsätzlich auch zulässig wäre (vgl. Zöller, § 649 Rn. 1). Der Schuldner denkt hingegen, dass er gegen die gesamte Forderung (bestehend aus Hauptforderung, Nebenforderung, Verfahrenskosten und Zinsen) Widerspruch eingelegt hat.

Ein inplausibler verspäteter Widerspruch führt jedoch nicht zwangsläufig immer zu einer Rechtskraft der Hauptforderung, also einem Anerkenntnis bzgl. der Hauptforderung durch den Schuldner, wenn zwischenzeitig ein Vollstreckungsbescheid ergangen ist und der Widerspruch als Einspruch behandelt wird.

Denn die Wertung des § 964 II 1 ZPO, dass ein Widerspruch als Einspruch zu werten ist, führt nicht zwangsläufig auch zu der Annahme, dass ein inplausibler „Widerspruch“ in einen inplausiblen Einspruch umzudeuten ist.

Folglich besteht grundsätzlich bei Vorliegen eines inplausiblen Einspruchs eine richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO. Das Gericht hat bei unklaren Angaben die Bedeutung des Einspruchs aufzuklären (vgl. aaO. § 700 Rn. 7). Das Gericht hat also im Streitverfahren zu erforschen, ob der Schuldner sich gegen eine einzelne Forderung oder gegen die gesamte Forderung wenden wollte.

Die Regelungen des Mahnverfahrens sind hier gerade nicht anwendbar. Denn würde man der Ansicht folgen, dass der Gesetzgeber in den Normen der §§ 697 IV, 699 II ZPO und §§ 700, 340 II ZPO eine strikte Trennung zwischen (maschinellem) Mahnverfahren und streitigem Verfahren geregelt hat und regeln wollte, so ist die Tatsache, dass ein inplausibler Widerspruch vermerkt wurde, entscheidungsunerheblich, da der Schuldner im Rahmen seines Schriftsatzes einen Einspruch gem. § 340 II ZPO hinreichend bezeichnen kann und damit ein formwirksamer Einspruch über die gesamte Forderung im Sinne der §§ 700, 340 II ZPO vorliegen dürfte.

Das Gericht kann folglich im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts (vg. aaO. § 700 Rn. 7) und der unklaren Angaben zu der Würdigung gelangen, dass durch den Schuldner rechtswirksam über die gesamte Forderung Einspruch eingelegt wurde und nunmehr streitig zu entscheiden ist.

Die vg. Fallgruppe gibt es nicht nur in theoretischer Form, sondern ist tatsächlich nun Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht Mitte, Az. 122 C 77/20, gegen unseren Mandanten als vermeintlichen Schuldner einer Forderung.

3. Ergebnis

Nicht immer lohnt sich ein Mahnverfahren; erst Recht nicht, wenn mit einem Widerspruch des Schuldners zu rechnen ist. Und selbst wenn ein Vollstreckungsbescheid ergeht, kann aus diesem nicht zwangsläufig immer gleich vollstreckt werden. Es kann sogar passieren, dass das Mahnverfahren länger dauert, wenn nämlich Nebenschauplätze hinzutreten, welche das Verfahren verzögern, etwa weil ein inplausibler verspäteter Widerspruch eingelegt wurde.

Sowohl Gläubiger als auch Schuldner sollten daher in jedem Fall vorab anwaltlichen Rat einholen, damit Unwägbarkeiten vermieden werden können.